Ein kontrastreiches russisches Programm dirigiert Dmitrij Kitajenko am 11., 12. und 13. November in der Kölner Philharmonie. Das Gürzenich Orchester spielt zunächst Piotr Tchaikovskys ‚Serenade für Streichorchester‘ op. 48, ein Werk über dessen rezente Kitajenko-Aufnahme Pizzicato schrieb: „Ab den ersten Takten von Tchaikovskys Streicherserenade wird das Gehör von einem sehr lyrischen, wunderschön melodischen Klang umschmeichelt. Purer Gesang!“
Es folgt Reinhold Glières ‚Konzert für Harfe und Orchester‘ op. 74 mit Xavier de Maistre, den man den ‚Botschafter der Harfe‘ genannt hat. Reinhold Glière, der Russe mit deutsch-polnischen Wurzeln, ist kein Erneuerer, eher ein Romantiker. Sein Harfenkonzert gehört zu seinen meist aufgeführten Werken. Eine Harfenistin beriet ihn bei der Komposition des Konzerts, das die Harfe stets wohlklingend zum Ausdruck bringt.
Scriabins ‚Le Poeme de l’Extase‘ beschließt das Programm. Alexander Scriabin stammt aus einer alten russischen Militärfamilie. Seine Lehrer waren Arensky und Tanejev. Scriabin zog sich immer wieder den Zorn Arenskys zu, denn der Lehrer hielt ihn für weitaus zu wagemutig. Ab 1903 widmete sich Scriabin ganz der Komposition und seiner Pianistenlaufbahn. Er hielt sich anfangs hauptsächlich im Ausland auf, vornehmlich in der Schweiz und von 1908 bis 1911 in Brüssel, kam danach wieder zurück und ließ sich definitiv in seinem Heimatland nieder, wo er am 14. April 1915 an einer Entzündung viel zu jung starb.
Scriabins Schaffen zeugt von schrankenloser Phantasie, in der sich Mystik, Magie und verzehrende Ekstase mit einer für ihn typischen Traumhaftigkeit mischen. Er wollte das Tonmaterial entmaterialisieren und – nachdem er im Anschluss an westeuropäische Tradition bis zur Atonalität vorgedrungen war – durch eine zugespitzte Übersteigerung aller ihm zur Verfügung stehenden Kunstausdrucksmittel das Gesamtkunstwerk erreichen.
Unter Scriabins Werken ist der ‚Poème de l’Extase‘ besonders bekannt geworden. Die Verschiedenheit von Empfindungen beim ‚Poème de l’Extase‘ muss auffallen. Weil seelisches Geschehen der morphologischen Psychologie zufolge immer wie Bilder strukturiert ist, ist es sehr schwierig, diese Tondichtung zu erleben, wenn man keinen visuellen Anhaltspunkt hat. Beim Versuch, das Werk bedeutungsvoll zu erleben, kommt man daher immer wieder zu anderen ‚Programmen‘. Und das bestätigt dann die Hypothese der Ekstase: das ewig Unkontrollierte, das Durcheinander aller Gefühle und Gedanken, aber auch den Umstand, dass Ekstase an einem bestimmten Ort, zu einer gegebenen Zeit und unter präzisen Gegebenheiten passiert und sich daher in einem durch Ort und Zeit immer verschiedenen Deutungsgeflecht jeder vereinheitlichenden Erklärung entzieht.
Scriabin selbst sagte einmal von der Ekstase: „Sie ist kein spezifisches Gefühl, sie entspricht der Befreiung, der Erlösung, der Illumination aller Gefühle, aller Begierden, Gedanken und Empfindungen.“